Ich finde es unheimlich spannend, wie alles miteinander
verbunden ist und letztlich eine Artikelreihe entstanden ist: Selbstreflexion als Voraussetzung für beziehungsorientierten Umgang, Glaube als Unterstützer im beziehungsorientierten Alltag und nun soll es um Strategien
gehen. Strategien, die uns als Eltern helfen in besonders emotionalen,
aufreibenden, herausfordernden Momenten mit unseren Kindern gut zu handeln und
einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. Strategien, die ich ausprobiert habe und die
mir helfen die Bedürfnisse meines Kindes hinter seinem Verhalten wahrzunehmen
und auf Beziehungsebene darauf einzugehen.
Leserin Marie brachte mich mit ihrem Kommentar unter dem
Artikel zur Selbstreflexion darauf das Thema auszuweiten. Sie schrieb: „Interessant
(und auch oft der schwierigste Part) ist auch die Frage nach einer passenden
Strategie in den Momenten, wo es brennt. Also wie komme ich überhaupt dahin
einfühlsam auf mein Kind reagieren zu können? Was mir hilft: Durchatmen. Zur
Not den Raum verlassen. Und wenn es nicht so gelaufen ist wie gewünscht: im
Nachhinein reflektieren.“
Da gebe ich ihr völlig recht: es ist der schwierigste Part
und diese Strategien bewusst zu sammeln, fand ich sehr spannend und eine gute
Ergänzung zu den vorangegangenen Artikeln. Ich habe gemerkt, dass ich in 3
Schritten reagiere: Zurücktreten – Sortieren – Lösung finden. Und diese
Schritte möchte ich euch nun vorstellen.
Schritt 1:
Zurücktreten
Zurücktreten heißt für mich, innerlich und äußerlich -
geistig und körperlich - einen Schritt aus der Situation herauszutreten um einen
Moment der Besinnung zu erreichen. Denn nur dann habe ich die Möglichkeit
Schritt 2 zu erreichen. Praktisch bedeutet das, dass ich versuche kurz zu „entspannen“
und mir Zeit zu geben. Ich persönlich nutze dafür gern Durchatmen/ Luftanhalten
oder einen kurzen Moment mit Gott. Die Möglichkeiten sind endlos und es ist
nur wichtig, dass ihr persönlich damit etwas anfangen könnt, einen Bezug dazu
habt und es vor allem SCHNELL abrufen könnt. Daher ist Durchatmen und Luftanhalten
für mich meist das erste; den automatischen Reflex der Atmung zu durchbrechen,
hilft mir beim Innehalten sehr wirkungsvoll. Das darf auch ruhig 3-10
Sekunden dauern. Hier noch ein paar andere Beispiele: Durchatmen,
Durchschnaufen, Zählen, Buchstabieren, zur Seite oder nach oben schauen, sich selbst
einen bestimmten Satz oder ein Keyword (z.B. Ruhe) sagen, kurz die Hände falten,
Augen schließen.
Schritt 2: Sortieren
Mit Sortieren meine ich, dass man durch das Zurücktreten nun
die Möglichkeit hat den ersten Handlungsimpuls (meckern, Nein sagen, genervt
sein etc.) loszulassen und sich zu fragen: Was ist jetzt wichtig? Was ist MIR
jetzt wirklich wichtig? Handle ich aufgrund von gesellschaftlichen Konventionen
und weil andere etwas von mir als Mutter erwarten? Handle ich aus Zeitnot? Was
braucht mein Kind gerade? Was will es durch dieses Verhalten ausdrücken?
Zusätzlich hilft mir ein Perspektivwechsel sehr gut. Ich
sage dann zu mir, dass ich auch mal ein Kind war, mit genau diesen
Bedürfnissen, Nöten und diesem „nervigen“ Verhalten. Dann frage ich mich, was
ich mir von meinen Bezugspersonen wünschen würde (häufigste Antwort: mich zu
verstehen, mich ernst zu nehmen). Diese Sichtweise ist meist mein letztes Werkzeug
um Abspaltung zu vermeiden. Denn durch die Identifikation mit dem Kind ist es
nicht mehr möglich seine Gefühle und meine Empathie wegzuschieben. Ich kann mich
wieder frei machen für die Wirklichkeit meines Kindes. So hilft mir Schritt 2 dabei,
in Beziehung zu bleiben und den Weg für eine (spätere) Selbstreflexion zu
ebnen.
Schritt 3: Lösungen
finden
Nachdem der erste Impuls „verraucht“ ist und ich mich
sortieren konnte, bin ich nun frei Lösungswege, Alternativen und Kompromisse für
mich und das Herzmädchen zu finden. Je nach Situation sind diese sehr
verschieden, denn an jedem Tag erleben wir als Eltern hunderte von einmaligen
Momenten und darunter einige stressige Momente unterschiedlicher Ursachen mit
unseren Kindern. Daher sind meine „Lösungsangebote“ längst nicht abschließend
oder perfekt. Dennoch habe ich bemerkt, dass ich drei grundsätzliche Strategien
habe, die ich je nach „Örtlichkeit“ unterschiedlich anwende und die mir enorm
helfen unseren Alltag zu entspannen: Kommunizieren,
Alternativen anbieten, Freiräume schaffen
Zu Hause tauchen klassischerweise eher Themen wie beispielsweise
kaputt-machen, nicht-anziehen-wollen, weg-rennen, nicht-Zähne-putzen-wollen
auf. Wie bei allen Situationen erkläre ich zuerst die Situation und auch warum
das jetzt sinnvoll wäre. Wenn das Herzmädchen das nicht möchte, dann biete ich
ihr Alternativen an oder lasse ihr ihren Freiraum. Das letztere fällt mir oft
schwer, da ich ein sehr strukturierter Mensch bin (ich möchte gern zu einem
bestimmten Zeitpunkt los, ich möchte gern Zähneputzen abhaken – aber das sind meine!
Wünsche). Daher versuche ich diese Zeiträume für mich sinnvoll zu füllen und
nicht herumzustehen, zu warten oder dauer-redend hinter ihr herzulaufen. Ich
erledige etwas im Haushalt, mache etwas, was mir gut tut, lese, schaue
Post durch. Eine gute Idee für diese Situationen wäre es eine Liste oder einen
gut sichtbaren Stapel/ Ort zu Hause zu haben, wo solche zeitlich kurz zu schaffenden
Dinge liegen – falls ihr auch so voller Tatendrang seid wie ich, ansonsten
hinsetzen und chillen ;). Bei uns klappt es auch je nach Anliegen gut am Ort
des Geschehens kurz zu warten: im Bad oder auch angezogen schon mal vor die Tür
zu treten.
Unterwegs liegen die „Probleme“ meist ganz anders. Auf dem
Spielplatz oder mit Freunden ist es vor allem das Thema Teilen, in dem Sinne,
dass natürlich jedes Kind in exakt dieser Minute das eine Spielzeug haben muss.
Da ist für mich Durchatmen und vermitteln, vermitteln, vermitteln gefordert -
also in der Nähe bleiben. Aber sonst ist es auf Spielplätzen, in der Natur oder
bei der Runde um den Block relativ entspannt bei uns.
Vorbereiteter begebe ich mich dafür in die „Welt der
Erwachsenen“, da wo Geld den Besitzer wechselt oder wo andere Erwachsenendinge
wie Ämtergänge o.ä. erledigt werden müssen. Die größten Stressmomente entstehen,
wie ich finde, durch falsches Zeitmanagement, fehlende Ablenkung,
fehlendes Essen und Trinken und gesellschaftlichen Druck. Ich beobachte, dass wir uns als Eltern meist zu viel vornehmen: flexibel bleiben
und erst mal einen Punkt von der to-do-Liste abarbeiten! Konkret heißt Zeitmanagement für mich auch genügend Zeit für Hin- und Rückweg einplanen (interessante
Wegentdeckungen oder auch einen Spielplatzabstecher zur geeigneten Zeit); eben den Blick für kindliche Freiräume behalten. Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass viel schaffbar ist, wenn ich sehe, wann eine Pause nötig ist und
wie ich die auch in der kinderunfreundlichsten Umgebung einrichte. Zum Beispiel
haben wir meist einen Miniball mit und dann spiele ich mit ihr eben Fußball
während wir warten müssen (z.B. auf einem breiten Fußweg oder auch auf einem kleinem
Stück Rasen neben dem Parkplatz; den Kindern ist das meist egal: Hauptsache
Bewegung, Spaß und nicht mehr so langweiliger Erwachsenenkram). Dann geht es
auch mit viel besserer Laune an die nächste Aufgabe. Bei genügend Zeit können
Kinder auch super mit einkaufen, rumgucken, im Einkaufswagen ein Buch anschauen,
ein kleines mitgebrachtes Spiel machen oder essen. Oft plane ich das mit dem Essen
auch gerne taktisch ein: beim Autofahren, bei einem Gesprächstermin oder
wenn ich mal schnell von A nach B muss im Buggy.
Am schwierigsten finde ich es aber mich von der Meinung anderer,
ob etwas stört oder richtig ist, unabhängig zu machen: in der Straßenbahn auch
mal lauter rumzualbern und aus Spaß ihre Kindermütze aufzusetzen, wohlwissend
das uns alle zuschauen. Oder aber meine Auffassungen und Werte öffentlich
umzusetzen und nicht dem äußeren Druck nachgebend sinnlos zu erziehen. Eben zur
Not in einem Beratungsgespräch mein damals 1,5 Jähriges Kind vor Fremden zu
stillen, die Sachen im Laden von ihr aus dem Regal ausräumen zu lassen (ich
sortiere dann wieder ein) oder ihre Meinung trotz kritischer die-hat-dich-doch-im-Griff-Blicke
ernst zu nehmen.
Voraussetzungen
Um überhaupt den Kopf frei zu haben für drei Schritte oder
alternative Lösungen, braucht es für jeden ein paar Voraussetzungen, um sich
dem überhaupt widmen zu können: Jeder in der Familie sollte (durchschnittlich
gesehen) genügend Essen und Schlaf abbekommen. Denn sonst ist der Organismus im
Stresszustand und sinnvolle bedachte Lösungen zu finden oder Zurückzutreten
werden schwierig. Daher ist dieser Punkt ein erster, der bei Anhäufung
stressiger Momente, Streit und Ausraster in der Familie überprüft werden
sollte. Wenn es der Fall ist, dann stehen Essen und Schlafen an oberster
Stelle!
Kommunikation: reden, reden, reden müssen wir mit unseren
Kindern. Ihnen ist noch so vieles unbekannt und neu. Was für uns ganz normal
und überschaubar wirkt, ist für sie oft wie für uns der Arbeitsbeginn in einem
neuen Berufsfeld: es gibt viele unverständliche Abkürzungen und die Kollegen
verschwinden in uns unbekannten Räume. Daher müssen wir unbedingt im Gespräch
bleiben: erklären, was heute ansteht, wohin wir gehen, was wir dort wollen und
wie wir gemeinsam daraus eine gute Zeit machen können.
Mein letzter Punkt ist Organisation. Ich finde Organisation
ist oft alles, sowohl in Bezug auf Zeit, auf Abläufe, auf mitzunehmende Dinge
als auch darauf das „Gesamtwerk“ im Auge zu behalten. Vorausschauende Planung und
Flexibilität haben bei uns schon oft stressige Momente entspannt oder
verhindert. Gerade in Bezug auf Anforderungen an Kinder, was sie alles
mitmachen (sollen), ist es wichtig den Wochenverlauf im Blick zu haben. Neben
all dem Freunde treffen, Freizeitaktivitäten, am Wochenende bei der Familie,
Einkauf und Erledigungen ist es wichtig Ruhetage, auch mal eine Ruhewoche oder
zumindest von Kind selbstbestimmte Freiräume einzuplanen, erst recht nach erlebnisreichen und anstrengenden Stunden bei der Tagesmutter oder im Kindergarten.
Fazit
Zusammenfassend habe ich also in stressigen Momenten folgendes
Schema im Kopf: Durchatmen– Nachdenken – Handeln. Das heißt konkret, dass die
ersten zwei Schritte mehr Zeit kosten, als ich es vielleicht früher gewohnt war,
denn ich reagiere nicht sofort. Das hat gleichzeitig den Vorteil, dass ich noch
einen Moment länger beobachten kann und sich schon so manches Mal ein „Problem“ aufgelöst
oder zumindest abschwächt hat. Zusätzlich habe ich Zeit zum Nachzudenken, zum
Sortieren und Reflektieren. Dann weiß ich genau: So möchte ich jetzt handeln!
Das möchte ich jetzt sagen! Lieber länger überlegt und abgewartet als etwas „rausgeplautzt“,
dass sich dann als kontraproduktiv herausstellt.
Ich denke (aufgrund von Beobachtungen und Gesprächen), dass
viele Eltern das Gefühl haben, sie müssen sofort reagieren und auch sofort
genau richtig. Zurückrudern oder Kompromisse eingehen kommt aber wiederum dann
für viele nicht in Frage. Konsequenz ist ein anderes Thema, dennoch landen wir
auf diese Weise schnell in einer Spirale von Aktion und Reaktion (kindliche
Aktion und Meckern, kindliche Aktion und Meckern usw.). Die angesehenen
gesellschaftlichen Werte Effektivität und Effizienz können uns in der
Interaktion mit unseren Kindern eher behindern. An dieser Stelle sind Geduld
und Umsichtigkeit sinnvoller und tragen aus meiner Sicht am besten zu einem
wertschätzenden und gleichwertigen Umgang in der Familie bei. Wir dürfen uns
Zeit lassen. Wir müssen nicht sofort eine Antwort oder Meinung haben. Nicht in
der ersten Sekunde. Nach 30 Sekunden oder gar einer Minute können wir ebenso
gut auf die Situation eingehen (Notfallsituationen natürlich ausgeschlossen)
und haben den Vorteil dann entspannter und zielsicherer zu handeln.
Was hilft euch im Alltag? Welche Strategien habt ihr entwickelt? Ich freue mich auf eure Ideen!
Eure Anne
PS: Wenn euch der Artikel gefallen hat, freue ich mich über ein Like :)
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