Donnerstag, 24. November 2016

Gewalt in der Geburtshilfe fängt schon bei Worten an - Beitrag zur Blogparade #rosrev

Fotografie: pexels


Warum ist Gewalt und übergriffiges Verhalten in unserer Gesellschaft so akzeptiert? Wieso ist es für Ärzte, Hebammen und anderes medizinisches Personal teilweise selbstverständlich über Schwangere, also werdende Mütter, zu bestimmen, zu urteilen und nicht in ins Gespräch zu gehen? Müssten Mütter nicht am besten im Gefühl haben, was für sie und das Kind gut ist? Darf die Wissenshoheit der Ärzte dazu führen, dass Mütter sich nicht trauen „Nein“ zusagen oder gar nicht gefragt werden?

All diese Fragen gingen mir in der letzten Woche durch den Kopf als ich über Nora Imlaus Blogparade "Each Woman is a Rose - Warum unsere Geburten so wichtig sind" anlässlich des Roses Revolution Day am 25. November (ein internationaler Gedenktag gegen Gewalt in der Geburtshilfe an dem Frauen zur Erinnerung rosa Rosen vor Kreißsälen etc. ablegen, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen) nachgedacht habe.

Die Geburt meines Herzmädchens ist nun schon über 2 Jahre und 4 Monate her und ich denke noch sehr oft an diesen beispiellosen, wunderbaren und herausfordernden Tag. Ich hatte eine schnelle durch einen Wehenbelastungstest ausgelöste Geburt, nach welcher ich innerhalb von 4,5 h mein kleines Wunder in den Armen halten durfte. Ich war so überwältigt, glücklich und auch etwas unsicher was meine Aufgabe in diesen ersten Momenten als Mutter ist – also hielt ich sie nur und sagte „Hallo“. Dieser Moment, der schnelle Verlauf der Geburt und das sehr liebevolles Personal überstrahlten an dem Tag alles.

Dennoch sind auch meine Erfahrungen nicht gewaltfrei.

Vor dem Herzmädchen war ich bereits schon einmal schwanger gewesen. Eine Woche vor der Fehlgeburt begannen bei mir leichte Blutungen, von welchen ich mich nicht nervös machen zu lassen versuchte. Es war die längste und schlimmste Woche meines Lebens. Jeden Tag wurde es schlimmer und ich konnte nichts tun und nur abwarten. Zudem hatten wir noch niemanden etwas gesagt, weil man das „ja erst nach der 12. Woche macht“. Das war ein großer Fehler, denn dadurch war ich viel mit meiner Sorge allein. Alle 2 Tage hatte ich bei meiner Frauenärztin oder im Krankenhaus eine Kontrolluntersuchung, welche mir Sicherheit gaben. Mein Mann war immer dabei und unterstützte mich. Alle waren sehr freundlich und halfen uns, fanden nette Worte und immer wieder machte sich große Erleichterung breit, wenn wir das kleine Herzchen schlagen sahen.

Am letzten Abend war es aber so schlimm, dass ich im Krankenhaus bleiben musste. Ich sollte einen Tag ruhen und dann zur Untersuchung - in der Hoffnung, dass sich alles wieder beruhigt hatte. Auch dieser Tag, dieser Termin kam endlich – inzwischen hatten wir zum Glück Freunde und Familie eingeweiht. Da ich im Krankenhaus war, war ich allein bei diesem Termin. Das war der schlimmste von allen.

Nicht nur weil mir da gesagt wurde, dass mein Mini-Kind nicht mehr lebt, sondern weil die Ärztin mir diese Nachricht in einem Satz mit den Fragen „Hatten Sie denn einen großen Kinderwunsch? Haben Sie es denn schon lange probiert?“ übermittelte.

Ich war völlig perplex, fassungslos, fühlte mich herabgewürdigt, nicht ernst genommen, ich wusste nicht was ich sagen sollte. Bei mir kam an, dass es ja nicht so schlimm sein konnte mein Baby zu verlieren, weil ich rasch schwanger geworden sei und mein Kinderwunsch anscheinend auch nicht groß genug gewesen sei, um meinen Verlust anzuerkennen. Das saß tief und ich zittere gleich wieder während ich das hier schreibe nach fast 3,5 Jahren! Danach konnte ich ihr kaum etwas entgegensetzen und ließ sie die nächsten Schritte vorbereiten. Dass auch das Gewalt in der Geburtshilfe war, wurde mir erst so richtig klar als ich jetzt über diesen Gedenktag und das Thema Gewalt in der Geburtshilfe nachdachte.

Es geht eben genauso um psychische Gewalt, um Worte die verletzen und auch um scheinbare Machtgefälle zwischen Arzt und Patient.

Nicht nur körperliche Übergriffe können uns Frauen in der Geburtshilfe verletzen! Diese verletzenden Worte der Ärztin, ihr Umgang mit mir und ihr fehlendes Mitgefühl sitzen bis heute tief und ich habe es ehrlich gesagt nur selten geschafft mit jemanden darüber zu reden. Aus diesem Grund bin ich selbst gerade überrascht, dass ich hier so offen darüber schreiben kann. Ich habe die Hoffnung, dass all diese Texte und dieser Tag etwas bewegen und zu mehr Sensibilität in so einem intimen Bereich führen.

Das Herzmädchen habe ich übrigens im gleichen Krankenhaus nur auf der anderen Seite des Flurs bekommen. Es ist aus meiner Sicht hier in Dresden das bedürfnis- und stillorientierteste Krankenhaus. Trotzdem habe ich die ganze Schwangerschaft inständig gehofft, dass ich diese Ärztin, übrigens Oberärztin, zu meiner Geburt nicht wiedersehen muss. Und da darf ich Gott echt danken, das war sie nicht! Trotzdem bin ich ihrer Übergriffigkeit leider nicht ganz entkommen.
Ich hatte am errechneten Geburtstermin ein Kontroll-CTG im Krankenhaus, welches schlechte Werte hatte.  Ich wusste, dass diese Werte nur so schlecht waren, weil meine Mutter plötzlich im Untersuchungszimmer auftauchte und einen Streit mit mir vom Zaun brach. Daraufhin wies mich die Ärztin in der anschließenden Auswertung gleich ins Krankenhaus ein und ich musste stundenlange CTGs (welche in Ordnung waren) ertragen und wurde am nächsten Tag dem Wehenbelastungstest, der den Blasensprung und somit die Geburt auslöste, unterzogen.

Obwohl ich mehrfach versuchte das Prozedere zu hinterfragen und hoffte, dass wir doch noch warten können bis das Herzmädchen von selbst hinaus wollte, wurde mir immer nur erklärt, dass das aus dem und dem medizinischen Grund nicht ginge. Ich bin schon ein selbstbewusster Mensch und ich kann Sachen auch gegenüber Ärzten ansprechen und hinterfragen. Aber ich bin kein Arzt und an diesem Punkt fällt es mir schwer meinen Standpunkt zu vertreten. Ich hatte an diesen Tagen oft das Gefühl, dass es den Ärzten vorwiegend um die Vermeidung möglicher Risiken (aber ich war ja schon im Krankenhaus...) und ihre Absicherung ging und mir Informationen fehlten. Das konnte ich natürlich nicht „nachweisen“ oder wissen, aber ich fühlte mich alternativlos in meiner „Wahl“ der Empfehlung der Ärzte zu folgen oder ein mir unbekanntes Risiko einzugehen.

An dieser Stelle würde ich mir von Ärzten in der Geburtshilfe (aber auch insgesamt) mehr Offenheit, mehr Bereitschaft zu Erklärung und somit eine Routine der umfassenden Erklärungen in alltäglicher Sprache wünschen. Denn erst dann habe ich als Mutter eines ungeborenen Kindes, die Möglichkeit mein gesundes (Körper-)Empfinden, meine Einschätzung und Sorge mit den medizinischen Fakten abzuwägen und aus der Rolle der scheinbar unmündigen Patientin herauszutreten.

Welche Erfahrungen habt ihr in der Geburtshilfe gemacht? Habt ihr bestimmtes Verhalten als Gewalt empfunden?

Auf unserem Blog können gern Gastartikel veröffentlicht werden - ihr seid herzlich eingeladen!


Eure Anne


PS: Wenn euch mein Artikel gefallen hat, dann freue ich mich über Teilen und Liken :)


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